Studie Rektoskopie zur Höhenbestimmung beim Rektumkarzinom

Ist die präoperative rektoskopische Lokalisations- und Höhenbestimmung beim Rektumkarzinom zuverlässig?

2017-282-f-S (Ethikkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe)
DRKS00012758 (Deutsches Register Klinische Studien)

Die Studie ist abgeschlossen und publiziert.

Interrater Agreement of Height Assessment by Rigid Proctoscopy/Rectoscopy for Rectal Carcinoma
M. Kraemer, S. Nabiyev, S. Kraemer, S. Schipmann
Dis Colon Rectum 2024; 67: 1018-23 (open access)
doi: 10.1097/DCR.0000000000003301    


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Einleitung und Begründung der Studie

Der gemessene Abstand eines Rektumkarzinoms von der Anokutanlinie (Anocutanlinie, ACL) ist maßgeblich zur Bestimmung der geeigneten onkologischen operativen Technik, aber auch bei der Entscheidung für oder gegen eine neoadjuvante Therapie, sowie für die allgemeine Zugänglichkeit des Tumors für eine Strahlentherapie. Hier gelten 12 cm, gemessen von der Anokutanlinie  als Wasserscheide zwischen dem oberen Rektumdrittel und dem mittleren, bzw. unteren Rektumdrittel. Hierzu ein Zitat aus den unter dem Siegel der AWMF publizierten S3-Leitlinien für kolorektales Karzinom (Stand 2017)1:

„Nach dem internationalen Dokumentationssystem … gelten als Rektumkarzinome Tumoren, deren aboraler Rand bei der Messung mit dem starren Rektoskop 16 cm oder weniger von der Anokutanlinie entfernt ist. Nach der UICC 2003 werden die Rektumkarzinome entsprechend ihrem Abstand von der Anokutanlinie in Karzinome des oberen Rektumdrittels (12 - 16 cm), des mittleren Rektumdrittels (6 - <12 cm) und des unteren Rektumdrittels (< 6 cm) unterteilt …

Dem gegenüber gelten in den USA … als Kolonkarzinome Tumoren, die mehr als 12 cm und als Rektumkarzinome Tumoren, die 12 cm und weniger von der Linea anocutanea entfernt sind. Begründet wird dies mit der deutlich höheren Lokalrezidivrate bei Tumoren unterhalb von 12 cm…“ (1)

Von der Höhenbestimmung eines Rektumkarzinoms ober- oder unterhalb der 12 cm ab ACL hängt zum einen die empfohlene operative Vorgehensweise ab:

„Bei Tumoren des oberen Rektumdrittels erfolgt die Durchtrennung des Rektums mit partieller Mesorektumexzision 5 cm distal des makroskopischen Tumorrands, gemessen in vivo. Das Mesorektum sollte horizontal ohne proximalwärtige Ausdünnung durchtrennt werden (kein Coning).… Bei Tumoren des mittleren und unteren Rektumdrittels erfolgt die totale Mesorektumexzision (TME) bis zum Beckenboden unter Schonung des Plexus hypogastricus superior, der Nn. hypogastrici und der Plexus hypogastrici inferiores.“ (2)

Entscheidender ist aber noch, dass diese Höhenbestimmung allgemein als wesentliche Grundlage für die Empfehlung für oder gegen eine neoadjuvante Radiochemotherapie genommen wird:

„Der Stellenwert der Strahlentherapie des Rektumkarzinoms im oberen Drittel wird kontrovers diskutiert. Es kann eine adjuvante Therapie wie beim Kolonkarzinom oder eine perioperative Radio(chemo-)therapie wie beim Rektumkarzinom durchgeführt werden. …

Folgende Argumente sprechen dafür, das obere Rektumdrittel (>12-16 cm ab Anokutanlinie, gemessen mit einem starren Rektoskop) wie ein Kolonkarzinom zu behandeln:

  • Die Daten der amerikanischen Adjuvanzstudien, die die Radiochemotherapie bei der Behandlung des Rektumkarzinoms etabliert hatten, bezogen sich ausschließlich auf Rektumtumoren mit einem Abstand des distalen Tumorpols von der Anokutanlinie bis 12 cm.
  • In der holländischen TME-Studie konnte bei Tumoren im oberen Rektumdrittel (hier definiert als: 10-15 cm ab Anokutanlinie) keine signifikante Verbesserung der Lokalrezidivrate durch die zusätzliche Radiotherapie nachgewiesen werden ….“ (3)

Mittlerweile hat diese Kontroverse dazu geführt, dass an den meisten Zentren Karzinome des oberen Rektumdrittels (also oberhalb der 12 cm) keiner neoadjuvanten Therapie mehr zugeführt werden.

Für die Höhenbestimmung des Abstandes eines Rektumkarzinoms von der ACL gilt die Messung mit dem starren Rektoskop als obligater Standard:

„Beim Rektumkarzinom sollte die starre Rektoskopie mit Höhenangabe des Tumorunterrandes obligater Bestandteil der präoperativen Diagnostik sein. … Die starre Rektoskopie ermöglicht eine genaue Bestimmung des Abstandes distalen Tumorrandes von der Linea dentata und ist somit für die weitere des Therapieentscheidung von wesentlicher Bedeutung.“ (4)

Rektoskopische Messunterschiede von wenigen Millimetern werden dabei Grundlage für entscheidende Weichenstellungen der weiteren onkologischen Behandlung. Das setzt implizit voraus, dass die Rektoskopie in jedem Falle eine zuverlässige und reproduzierbare Höhenbestimmung liefert. Für diese Annahme gibt es allerdings keine wirklichen Daten. Bemerkenswert ist außerdem, dass die „12 cm – Regel“ unabhängig von Körpergröße und Geschlecht gelten soll, aber auch, dass es für die Durchführung der Rektoskopie keine Standards gibt (z.B. Positionierung des Patienten: Steinschnitt oder Linksseitenlage, Klistiergabe).

Wie bei jeder anderen Untersuchungsmethode sind aber auch bei der Rektoskopie unterschiedliche Messwerte in Abhängigkeit von Untersucher und Untersuchungsbedingungen zu vermuten. Dies entspricht auch allgemeinen Erfahrungen aus spezialisierten koloproktologischen Sprechstunden, bei denen die Rektoskopie als Untersuchungsmethode in höherer Frequenz durchgeführt wird.

Hinzu kommt, dass die ACL als Ausgangspunkt für Höhenmessungen im Rektum eigentlich nicht geeignet ist. Die ACL liegt definitionsgemäß am Übergang vom Anoderm (Analhaut) zur perianalen Haut. Dieser Übergang ist visuell zwar gut identifizierbar, umrundet den unteren Afterrand aber in aller Regel in ein bis zwei cm seitlichem Abstand. Hinzu kommt, dass die ACL in Abhängigkeit von diversen degenerativen proktologischen Veränderungen variiert, im Besonderen bei Analprolaps als  Begleitkomponente eines Hämorrhoidalleidens. Die Position der ACL abseits des unteren Afterrandes erschwert in jedem Falle die genaue Höhenmessung mit dem starren Rektoskop. Dies führt dazu, dass diese Distanz entweder als Schätzwert hinzu gerechnet wird, oder aber dass an Stelle der ACL der Einfachheit halber oder aus Unkenntnis der untere Afterrand als Ausgangspunkt für die Höhenbestimmung genommen wird. Jedenfalls ist auch hier eine mögliche Ursache für eine Unschärfe der Messungen zu vermuten.

 

Studienziel und Fragestellung

Ziel der Studie ist, die Reproduzierbarkeit der rektoskopischen Höhenbestimmung eines Rektumkarzinoms in Abhängigkeit von Untersucher und Untersuchungsposition zu evaluieren.

Es soll folgenden Fragestellungen nachgegangen werden:  

1. Unterscheiden sich die Messwerte der Höhenbestimmung verschiedener Untersucher?

2. Unterscheiden sich die Messwerte auch in Abhängigkeit von der Untersuchungsposition (Steinschnitt vs. Linksseitenlage)?

3. Sofern sich Unterschiede ergeben, welchen Einfluss hat dies auf die weitere Therapieplanung?

Zusätzlich zu den genannten Fragestellungen sollen die Untersucher bei digital erreichbaren Tumoren jeweils auch ihre Einschätzung zum klinischen Staging nach Mason abgeben:

CS I: Tumor mit der Mukosa verschieblich (entsprechend T1 oder T2)
CS II: Tumor mit der Darmwand verschieblich (entsprechend T2 oder T3)
CS III: Beweglichkeit des Tumors eingeschränkt
CS IV:  Fixierung an Nachbarstrukturen

Studienkonzept

Im Rahmen der üblichen Routine werden Patienten mit Rektumkarzinom vom Ambulanzarzt rektoskopiert. Die Rektoskopie (Spiegelung des Enddarms) ist eine für die präoperative Diagnostik des Rektumkarzinoms obligate Untersuchung. Bei ihr wird ein starres Endoskop 15 bis maximal 20 cm über den After in den Enddarm eingeführt und das Organ gespiegelt. Die Untersuchung ist allenfalls unangenehm,  verursacht aber keine Schmerzen. Durch eine fachgemäß durchgeführte Rektoskopie verursachte Komplikationen sind auch in der Literatur nicht bekannt.

Die Untersuchung erfolgt in unserer koloproktologischen Ambulanz regelhaft auf einer Untersuchungsliege durch einen Facharzt mit dem Patienten in linker Seitenlage. Der erhobene Befund wird auf einem studienadaptierten Befundbogen erfasst. Hiernach wird ein weiterer Facharzt hinzugezogen, der ohne Kenntnis des Vorbefundes die Rektoskopie wiederholt und auf einem separaten Bogen dokumentiert.

Ebenfalls im Rahmen der üblichen präoperativen Diagnostik wird bei Patienten mit Rektumkarzinom auch die anale Sphinkterfunktion manometrisch geprüft. Dies erfolgt in der für diese Untersuchung üblichen Steinschnittlage.

Für die Studie werden nun zwei weitere Fachärzte unabhängig voneinander und ohne Kenntnis von der Befundung des anderen rektoskopisch eine Höhen- und Lokalisationsbestimmung dokumentieren.

Weitere Einzelheiten des Studiendesigns finden sie unter:

Deutsches Register klinischer Studien:
https://drks.de
International Clinical Trials Registry Platform (WHO)
http://apps.who.int/trialsearch/Trial.aspx?TrialID=DRKS00012758

Für die Studie verantwortliche Ärzte:

Studienleiter:
Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Kraemer
mkraemer(at)barbaraklinik.de

Stellvertreter:
Ghais Bashour
gbashour(at)barbaraklinik.de

Sarkhan Nabiyev
snabiyev(at)barbaraklinik.de