Studie Rekumwand
Strukturveränderungen der Rektumwand beim Rektumprolaps: eine funktionspathologische Studie an Operationspräparaten mit Korrelation der klinischen Befunde
2013-629-f-S (Ethikkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe)
DRKS00005662 (Deutsches Register Klinische Studien)
Die Studie ist abgeschlossen und publiziert.
Rectal prolapse traumatizes rectal neuromuscular microstructure explaining persistent rectal dysfunction.
M. Kraemer, W. Paulus, D. Kara, S. Mankewitz, S. Rozsnoki
Int J Colorectal Dis 2016; 31:1855-61 (open Access)
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Grundlage dieser Studie ist die nachfolgende Hypothese:
Der Rektumprolaps führt durch die mechanische Beanspruchung des Gewebes direkt zu Folgeschäden im feingeweblichen Aufbau der Darmwand, wodurch auch die Funktion des Enddarms beeinträchtig ist.
Der Enddarmvorfall führt somit regelhaft auch zu einer dauerhaften Schädigung der Funktion des EnddarmsDer Enddarm spielt eine wichtige Rolle bei der Stuhlentleerung. Diese Funktion setzt eine intakte Gewebearchitektur voraus (d.h. intakte Muskeln, Nerven, Bindegewebe). Es ist zu vermuten, dass der Vorfall durch die hierdurch bedingte mechanische Beanspruchung des Gewebes direkt zu Folgeschäden im feingeweblichen Aufbau der Darmwand führt, wodurch auch die Funktion des Enddarms beeinträchtig ist. Die kausale Verkettung von "Vorfall - strukturelle Schädigung - Funktionsdefizit" erscheint sehr wahrscheinlich und ist die dieser Studie zugrunde liegende Hypothese.
Begründung der Studienhypothese:
Die Physiologie der Defäkation gilt weiterhin als nicht vollständig geklärt12,17,18,21. Einigkeit besteht aber darin, dass eine intraluminale Drucksteigerung im Rektum über bisher nicht eindeutig identifizierte Rezeptoren wahrgenommen und hierdurch Stuhldrang initiiert wird12, 17,18,21,23. Die Drucksteigerung erfolgt normalerweise rasch, nach Massenperistaltik, vorwiegend aus dem Sigma. Dies geschieht postprandial als gastro- oder entero-kolischer Reflex. Die Massenperistaltik kann aber auch durch andere Reize angeregt werden z.B. Emotion13, Kälte, Stimulanzien (z.B. Kaffee).
Erreicht die Drucksteigerung im Rektum infolge des Füllzustands einen Schwellenwert, wird dies als Stuhldrang bewusst wahrgenommen. Der Schwellenwert für die Wahrnehmung ist variabel und wird auch durch erworbene Veränderungen der Rektumwand beeinflusst (durch z.B. entzündliche Erkrankungen oder Radiatio, erworbene degenerative Veränderungen)15,29,30,32.
Das Rektum ist nicht als Speicherorgan angelegt, degeneriert aber möglicherweise mit zunehmendem Lebensalter in diese Funktion. Es gibt Hinweise dafür, dass in der Ruhephase die Motorkomplexe im physiologisch intakten Rektum retrograd propagiert werden, das Rektum somit kleinere Stuhlmengen wieder zurück in das Sigma transportiert, bis zum Zeitpunkt der Massenperistaltik22. Die retrograde Aktivität wird auch in Gang gesetzt, wenn die Defäkation willentlich unterdrückt wird. Das Rektum ist auch Barriere für die Kolonperistaltik21. Ein chronisch stuhlgefülltes und obstruiertes Rektum ist somit bereits Hinweis für eine degenerative Funktionsbeeinträchtigung.
Via parasympathischer Vermittlung kann die Defäkation bei Stuhldrang bewusst initiiert werden. Dabei kommt es unter anderem zu einer Erschlaffung der Levator- und Sphinktermuskulatur, durch die sich der Analkanal öffnet. Das Rektum kontrahiert vorwiegend axial. Um diese „Verkürzung“ des Rektum zu ermöglichen, verschmelzen die Taenien anatomisch über dem Rektum zu einer das Organ umfassenden Muskelschicht. Es gibt aber auch eine kontrahierende Peristaltik durch die darunter liegende mehr zirkulär strukturierte Muskelschicht12,17,18,21. Die Bauchpresse unterstützt den Entleerungsvorgang.
Das Rektum ist daher für die Defäkation ein wichtiges Wahrnehmungs- und Austreibungsorgan. Zweifelsohne darf postuliert werden, dass Sensorik und Motorik des Rektum eine intakte nervale und muskuläre Organstruktur voraussetzt.
Mittlerweile werden aber erworbene degenerative Strukturschäden des Rektum wahrgenommen und behandelt. Diese Veränderungen sind mit einfachen klinischen Untersuchungen leicht zu erkennen, ihre Entstehung ist zu einem gewissen Grade altersphysiologisch. Der innere Rektumprolaps ist dabei im Fokus der medizinischen Wahrnehmung und wird als wesentliche Ursache einer mechanischen Defäkationsobstruktion erkannt. Dies ist gerade unter Chirurgen mittlerweile auch breiter akzeptiert und wird unter dem Begriff „obstruktives Defäkations-Syndrom (ODS)“1-3,6,7,9,10,19,20,24,25,28 als pathophysiologisches Konzept subsummiert.
Der innere Rektumprolaps ist ein pfropfartiges Intussuszept des Rektum in sich selber. Spielarten hiervon sind der Mukosaprolaps als Frühform, aber auch der Hämorrhoidenprolaps als dann oft symptomatisches Begleitphänomen. Das Intussuszept wirkt wie ein Ventil, das überwunden werden muss, damit Stuhlgang passieren kann. Eine häufig begleitende Veränderung des weiblichen Beckenbodens ist die Rektozele. Sie ist Folge einer dann oft auch tastbaren degenerativen Strukturschwächung typischerweise der Rektumvorderwand und/bzw. des rektovaginalen Septum/Vagina-Hinterwand.
Allerdings wird in der derzeitigen Diskussion der pathophysiologischen Zusammenhänge lediglich der mechanistische Aspekt der physikalisch durch das pfropfartige Intussuszept verursachten Obstruktion berücksichtigt.
Es werden aber bei Patienten im Umfeld von Obstipation, Obstruktion und Inkontinenz immer wieder auch motorische und sensorische Funktionsstörungen des Rektum wahrgenommen4,5,8,11,14,16,26,27,31. Das Rektum wirkt bei der Bildgebung (im Besonderen in der Dynamik der Defäkographie) oft überaus schlaff und balloniert. Bei vielen Patienten kann auch durch Ballon-Expulsions-Test eine Sensibilitäts- und/oder Entleerungsstörung nachgewiesen werden. Die motorischen und sensorischen Funktionsstörungen persistieren bei vielen Patienten auch nach der operativen Beseitigung des obstruierenden Vorfalls.
Gerade bei Betrachtung von Defäkographie-Sequenzen mit innerem Rektumprolaps drängt sich die Frage auf, ob ein schlaffes, intussuszeptierendes Rektum tatsächlich noch die motorischen und sensorischen Strukturvoraussetzungen aufweist, die für eine physiologische Defäkation erforderlich sind. Zudem wirken die Resektionspräparate nach transanalen Prolapsresektionen nicht selten fibrosiert und vernarbt. Es ist im Gegenzug auch zu bezweifeln, dass ein gesundes, und strukturnormales, straffes Rektum überhaupt eine Intussuszeption vollziehen kann.
Es stellt sich somit die Frage, ob die Mechanik des inneren Rektumprolaps sekundäre Strukturschäden der Rektumwand verursacht, die wiederum senso-motorische Funktionsbeeinträchtigungen des Rektum nach sich ziehen. Dies erscheint wahrscheinlich und ist die Studienhypothese.
Eine Klärung dieses Sachverhalts könnte zu unserem Verständnis von Obstipation und Stuhlinkontinenz speziell bei älteren Menschen beitragen. Diese Leiden haben eine erhebliche, die Lebensqualität beeinträchtigende Dimension und sind im Zeitalter des „demographischen Wandels“ auch von zunehmender gesellschaftlicher und sozio-ökonomischer Relevanz.
Studienkonzept
Die transanale Rektumresektion mit dem zirkulären Klammernahtgerät (sog. „STARR-OP“ für „Stapled Transanal Rectal Resection“) ist ein mittlerweile etabliertes und standardisiertes Verfahren zur transanalen operativen Resektion von Rektozelen und innerem Rektumprolaps 1-3,6,7,9,19,20,24,25,28. Das Verfahren ist bei kritischer Indikationsstellung effizient, technisch einfach durchzuführen und risikoarm. Bei der Operation werden üblicherweise Vorder- und Hinterwand der Prolaps abschnittsweise mit dem Stapler reseziert und die verbliebenen Darmenden gleichzeitig mit Klammernähten verbunden. Es werden somit durch die Operation zwei Vollwandexcidate aus dem prolabierenden Rektumabschnitt gewonnen.
Die Indikationsstellung einer operativen Therapie der obstruktiven Defäkationsstörung setzt eine umfangreiche präoperative Diagnostik voraus. Die differenzierte diagnostische Abklärung ist nicht zuletzt wegen forensischer Erwägungen zwingend erforderlich, da es sich um ein zwar potentiell erheblich beeinträchtigendes, prinzipiell aber zunächst nicht gesundheits- oder lebensbedrohliches Leiden handelt. Entsprechend bedarf die Absicherung der Indikation hier besonders hoher Standards. Die Diagnostik umfasst in der klinischen Routine, neben einer strukturierten Anamneseerhebung mittels standardisiertem Fragebogen, auch die Erfassung mehrerer Scores (Obstipationsscore, Inkontinenzscore, Proktologischer Beschwerdeindex), sowie eine eingehende klinische und koloproktologische Untersuchung und Befundung (inklusive Funktions-Proktoskopie (d.h. mit und ohne Bauchpresse) und Rektoskopie. Zur Evaluierung bestehender Funktionsdefizite des Rektum wird ein „Ballon-Expulsions-Test“ durchgeführt, mit dem grobe sensorische und motorische Störungen aufgedeckt werden können. Schließlich werden regelhaft zur Dokumentation der Defäkationsobstruktion eine Video-Defäkographie, sowie ein Kolon-Kontrasteinlauf veranlasst, letzterer zum Ausschluss einer höher gelegenen Obstruktionsursache (z.B. obstruierende Sigmoidozele oder stenosierende Divertikelkrankheit des Kolon). Es handelt sich somit bei den Patienten, bei denen eine „STARR“-Operation indiziert und durchgeführt wird, um ein klinisch detailliert erfasstes und dokumentiertes Kollektiv.
Für die Studie wird die derzeitige klinische Praxis der Diagnostik, Indikationsstellung, operativen Therapie und Nachbehandlung bei Patienten, die sich einer STARR-Operation unterziehen, nicht verändert.
Für die Studie sollen Präparate, die bei den STARR-Operationen gewonnen werden auf pathologische makro- und mikromorphologische Veränderungen untersucht werden, die zu den klinischen Befunden korreliert werden. Hierfür erfolgt eine studienadaptierte Erfassung der klinischen Daten und eine detaillierte histopathologische Aufarbeitung der Präparate nach zu definierenden funktions- und neuropathologischen Kriterien.
Weitere Einzelheiten des Studiendesigns finden sie unter:
Deutsches Register klinischer Studien:
https://drks.de
International Clinical Trials Registry Platform (WHO)
http://apps.who.int/trialsearch/Trial.aspx?TrialID=DRKS00005662